Von Claire Dowie, aus dem Englischen von Hartmut El Kurdy, Merlin Verlag, Gifkendorf.
Warum trägt John Lennon einen Rock?

Sie ist 14 Jahre alt und ein Tomboy. Ein Mädchen, das sich benimmt wie ein Junge, das sich prügelt, Fußball spielt und auf Bäume klettert. Mit ihren besten Freundinnen, auch alles Tomboys, hat sie eine Gang gegründet – sie nennen sich die Fab Four, wie die Beatles. Sie möchte kein plüschiges, rosafarbiges Mädchen sein und erst recht keine Frau mit Rock werden – viel lieber wäre sie ein Junge. Jungen können Helden sein, Mädchen können keine Helden sein. Jungen sind wichtig, Jungen müssen keinen Rock tragen. Deshalb beschließt sie, ein Junge zu sein. Sie ist John Lennon.
Doch warum trägt John Lennon einen Rock? Wie wird man als weiblicher Teenager zu einer erwachsenen Frau ohne sich völlig den Rollenerwartungen unterzuordnen? Die Zuschauer erleben hautnah eine aufregende Reise durch die Vielschichtigkeit des Erwachsenwerdens.

Theater im Klassenzimmer
Begeben Sie sich mit ihrer Klasse in die Zeit der Sechziger-Jahre. In England spiegeln die Beatles den Zeitgeist der Jugend wieder; alte Konformitäten werden in Frage gestellt, die Jugend rebelliert. Diese Musik der Beatles bildet die Plattform für Jugendrevolten, Befreiung des Geistes, des Körpers und der Musik.
In den Schulen wird streng an alten Ritualen festgehalten: Rockpflicht für Mädchen, Einübung des geschlechtsspezifischen Rollenverhaltens steht auf der Tagesordnung. Der Lehrplan setzt Maßstäbe und lehrt dieses Verhalten.
Aber was ist, wenn manche Mädchen nicht nach alten Vorstellungen leben wollen? Wenn sie anders fühlen und andere Dinge wollen?

  Auszug aus der Laudatio für den Kölner Kinder- und Jugendtheaterpreis 2004
„Warum trägt John Lennon einen Rock?" von Claire Dowie, ab 14 Jahren, ZENO Theater Köln

"...Der Abend wurde einer der vergnüglichsten, des letzten Jahres. Das ZENO Theater spielte Claire Dowies Jugendstück „Warum trägt John Lennon einen Rock?“ Ein seltsamer Titel, der jenen verzwickten Umstand zur Sprache bringt, der mich schon seit Kindertagen in Verwunderung versetzt hat und auf den ich doch nie eine Antwort gefunden habe. Wie schaffen es Mädchen eigentlich, sich mit Heldengestalten zu identifizieren, die in unserer Kultur ausnahmslos männlich sind? Wenn wir als Kinder Ritterspiele veranstalteten, wollte niemand das Burgfräulein sein, die Mädchen eingeschlossen, auch sie schlüpften in die Rolle der Schwertkämpfer.
Heute gibt es die Girl-Groups, die die Musikindustrie erfand, um Identifikation in klingende Münze zu verwandeln. In den sechziger Jahren war das noch anders, damals gab es die Beatles. Mädchen, die Popmusik hörten und anders als ihre Eltern sein wollten, mussten sich notgedrungen mit Jungs identifizieren. So stellen sich auch die beiden 14-jährigen Freundinnen in Claire Dowies Stück vor, sie seien John Lennon und Paul McCartney. Allerdings spätestens dann, wenn die beiden morgens wieder ihre Schuluniformen anziehen müssen, kommt es zu unangenehmen Kollisionen zwischen Traum und Wirklichkeit. Das Problem weiblicher Identitätssuche, hier wird darüber nicht theoretisiert, sondern sozusagen von der Front berichtet. Zumal eine neue Verwandlung auf die Mädchen wartet, denn nun geht es auch darum, mit Nylons und hohen Schuhen den Jungs den Kopf zu verdrehen, die zeigen sich freilich zunächst nur erschrocken von den neuen Attributen der Weiblichkeit.
Britta Weyers und ihre beiden Schauspielerinnen Ina Beimbauer und Patricia Langfeld fragen, warum sich weibliche Wesen in unserer Gesellschaft grotesk verbiegen müssen, um akzeptiert zu werden. Warum dürfen sie nicht so sein, wie sie sind und sich fühlen? Ein Thema der Teenager, das uns im Grunde alle angeht. Sind wir nicht ein Leben lang damit beschäftigt, eine Definition für das zu finden, was männlich und weiblich ist?

Ein Identitätsprozess, der auch seine komischen Seiten besitzt. Ina Beimbauer und Patricia Langfeld spielen die Mädchen lässig, trocken, burschikos, sie sind mit jeder Geste, jedem Wort im Bild. Und Britta Weyers findet auch für die Vielzahl von Perspektiven, die dieses Stück enthält, starke Bilder. Hier wird immer gespielt, nicht langatmig erzählt, wie man es heute so oft im Theater erlebt. Das alles ereignet sich auf nicht mehr als fünf Quadratmetern, weil Britta Weyers mit all ihrer Erfahrung eine Handvoll Requisiten clever einzusetzen versteht. Eine ausgereifte Inszenierung ist ihr und den beiden Akteurinnen gelungen, die voller Ideen steckt und von der man viel über das Theater lernen kann. Etwa wie das Theater auf besondere Weise unsere Erfahrungen mit der Welt ernst nimmt. Wie es sich als ein Raum bewährt, in dem wir über das Leben reflektieren können, sich Gedanken mit einer Konsequenz durchspielen lassen, wie sie uns Literatur und Film nicht zu bieten vermögen.

Das ZENO Theater experimentiert auf engstem Raum, es bewegt sich damit in schwierigen Zeiten an vorderster Front. Denn wenn die Jugendlichen nicht ins Theater kommen sollten, dann besteht mit dieser Inszenierung die Möglichkeit, dass das Theater zu ihnen, direkt ins Klassenzimmer kommt. Aber gutes Theater fasziniert natürlich nicht nur eine Altersgruppe, das Erwachsene Publikum rechts und links von mir, aber auch ich selbst, lachte noch, als der Schlussakkord schon verklungen war und der Applaus donnerte."

Die Jury: Thomas Linden (Verfasser der Laudatio), Ulli Türk und Dr. Oliver Cech